Elfriede – eine schwere Kindheit in den 1940er-Jahren
Die Erika Reinhardt-Stiftung kümmert sich schwerpunktmäßig um Kinder mit Fehlbildungen der Speiseröhre, an denen die Kinder in Kindheit und Jugend maximal leiden können: Immer wieder Lungenentzündungen, Steckenbleiber in der Speiseröhre, saures Aufstoßen …
Aber es gibt auch andere schwere Schädigungen der Speiseröhre, an denen Kinder bis zu ihrem Lebensende leiden können. Es handelt sich um Verätzungen mit Natronlauge oder – sehr viel seltener – mit Säuren. Lebensgeschichten, die – Gott sei Dank – durch die festen Verschlüsse auf den Flaschen und an den Kanistern heute extrem selten geworden sind.
Bei Elfriede war es nicht so. Sie war im Krieg1943 auf die Welt gekommen. Damals war man sich der Gefahr von Laugen und Säuren noch nicht so bewusst. Elfriede griff im Alter von fast 5 Jahren nach einer vermeintlichen Flasche Apfelmost, um den Durst zu stillen. Drin war aber nicht Apfelmost, sondern „Ätznatron“, wie es die alte Dame heute beschrieb. Sie wurde damals notfallmäßig in das nächste Krankenhaus gebracht, wo man Speiseröhre und Magen mit Essigwasser spülte; aus heutiger Sicht ein weiterer katastrophaler Fehler …
Elfriede wurde in eine kinderchirurgische Klinik weit weg gebracht, wo man ihr eine Magenfistel legte, über die sie ernährt werden konnte – denn über die schwerstgeschädigte Speiseröhre war keine Nahrungsaufnahme mehr möglich. Sie blieb dort vom Juni 1948 bis zu Weihnachten (!!) im Krankenhaus, wo sie immer wieder ohne Narkose (!) – bougiert wurde. Die Anästhesie als eigenständiges Fachgebiet wurde erst 1957 gegründet; die Narkose bei Kleinkindern galt damals als zu gefährlich, so dass viele Eingriffe bei diesen Kindern ohne Narkose durchgeführt wurden (!).
Überraschenderweise konnte Elfriede aber danach fast wieder normal essen. Das Essen musste aber entweder gut püriert oder auf jeden Fall gut gekaut werden. Sehniges Fleisch ging gar nicht. Bei hastigem Essen blieb die Speise in der Speiseröhre stecken. Aber Elfriede lernte schon als kleines Kind, die Speise dann auch wieder herauszuwürgen. Als junge Erwachsene kam es dann – nachdem die Schulzeit mit sehr guten Noten (sogar in Sport Note 1 und 2) absolviert worden war – zu einer dramatischen Situation: ein Stück Fleisch blieb in der Speiseröhre hängen und ließ sich nicht hochwürgen. Ein Arzt versuchte dann das Stück Fleisch mit Gewalt über Bougies in der Speiseröhre nach unten zu schieben, verletzte allerdings die Speiseröhre. Elfriede entwickelte eine schwere Blutvergiftung (Sepsis) mit hohem Fieber aufgrund der Entzündung im Bereich des Mediastinums, dem Gewebe zwischen Herz und Lunge; eine Erkrankung mit hoher Sterblichkeit.
Aber Elfriede überlebte! Wenig später lernte Elfriede ihren Mann kennen und bekam zwei Kinder: Rudolf und Anna, denen sie eine liebevolle Mutter war. Sie war auch stets lebensfroh und voller Optimismus. Die Speiseröhre war mittlerweile komplett vernarbt. Sie musste dann wieder operiert werden; ein total vernarbtes Stück Speiseröhre musste entfernt werden. Unter den damaligen Bedingungen eine hochriskante Operation! Da die Luftröhre durch die Nachbeatmung geschädigt worden war, wurde dann ein Luftröhrenschnitt notwendig. Sie erholte sich dann aber auch mit Tracheostoma so gut, dass dieses 4 Monaten danach wieder verschlossen werden konnte! Sie war dann wieder so fit, dass sie einen Beruf erlernen konnte (Verwaltungsangestellte) in dem sie sich sehr gut entwickelte. Später war sie sogar aktives Mitglied in der Wandergruppe vor Ort. Dennoch kam es im Alter immer häufiger zu Problemen: Sie aspirierte häufig Nahrungsmittel in die Lunge mit der Folge schwerer Lungenentzündungen, an denen sie dann in Verbindung mit der immer schwieriger werdenden Nahrungsaufnahme 78-jährig verstarb.
Im Wunsch, nach dem Tode ihrer Mutter einen guten Zweck zu fördern, entdeckten die Kinder die ERIKA REINHARDT-Stiftung. Sie erkannten in unserer Stiftung einen Zweck, den ihre Mutter gewiss gerne unterstützt hätte, wenn sie zu Lebzeiten von uns erfahren hätte: Einen solch schwierigen Lebenslauf wie den ihrigen von Kind an möglichst zu verhindern oder zu lindern.
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